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Mut zum Leben – Eine Veranstaltung am 01.04.2023, 16:30 Uhr im Palais Lichtenstein mit dem Zeitzeugenbericht der Auschwitzüberlebenden Lidia Maksymowicz


8. März 2023

Lidia Maksymowicz ist drei Jahre alt, als sie gemeinsam mit ihrer Mutter aus Minsk in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wird. Im Januar 1945 wird sie von ihrer Mutter getrennt, die auf einen sogenannten Todesmarsch geschickt wird. Am 27. Januar 1945 wird sie in Auschwitz von der  Roten Armee befreit. Als Auschwitz-Überlebende fühlt sie sich verpflichtet, über all die Gräueltaten, die dort geschehen sind, zu berichten. Sie geht an Schulen, spricht in Museen und Gedenkstätten.

Das Eintreffen in Auschwitz-Birkenau war schrecklich. Ich erinnere mich vor allem daran, wie die Hunde gebellt haben. Einige Soldaten, die uns gegenüber standen, hatten Hunde an der Leine. Es war nicht mehr Tag, es war schon grau, die Reflektoren blitzten und ich kuschelte mich an meine Mutter, weil ich das damals noch konnte. Opa und Oma gingen auf die eine Seite. Ich habe das noch nicht verstanden, dass das die Selektion war. Jetzt weiß ich natürlich, dass es darum ging, diejenigen auszusondern, die sich nicht für Arbeit eigneten. Die mussten auf die eine Seite gehen. Da waren meine Großeltern. Sie wurden schnell abgefertigt. Die sollten in Richtung der großen Kamine gehen, zu den Schornsteinen, die so eine komische Luft ausgestoßen haben. Da konnte man kaum atmen.

Ich erinnere mich, dass meine Mutter und die anderen Frauen sich vollkommen nackt ausziehen mussten. Meiner Mutter wurde all das weggenommen, was sie besaß. Sie hatte eine Kette am Hals. Dann hat man sie zu einem Ort gebracht, von dem sie nass zurück kamen, sie hatten kahl geschorene Schädel. Wir Kinder haben sie nicht wiedererkannt. In so einer Situation hatten wir sie nie gesehen.

Dann wurden sie nummeriert. Meine Mutter hielt mich auf dem Arm. Erst hat man ihr eine Nummer eintätowiert. Auf eine sehr primitive Art. Es fällt mir schwer, darüber zu sprechen, da gab es so eine Nadel. Ich habe auch so eine Nummer bekommen, die ich bis heute auf dem Arm trage. Ich kann sie ihnen zeigen. Sie sieht ganz besonders gut aus. Alle Kinder haben eigentlich geschrien dabei, aber ich war so organisiert. Ich war diszipliniert. Schon als Kleine. Angeblich habe ich nicht geweint.

Von diesem Moment an hatten wir keine Geschichte. Keine Herkunft. Keine Namen. Wir waren einfach Nummern. So wie alle anderen Gefangenen.

Ich war damals Kind und ich kann nicht genau sagen, was sich dort alles zugetragen hat. Ich kann mich nur erinnern, wie ich mich in der Kinderbaracke in der dunkelsten Ecke versteckt habe. In meiner Naivität dachte ich, dass ich, wenn ich mich verstecke und nicht zu sehen bin, dass sie mich nicht greifen werden. Dann habe ich erfahren, dass Doktor Mengele kommt und Kinder mitnimmt. Und so ist es passiert, dass ich tatsächlich in einem Laboratorium gelandet bin. Die waren in der Nähe der Krematorien. Ich kann mich erinnern, wie schmerzvoll die Spritzen waren, die man uns gab. Nicht nur in den Arm spritzte man uns, sondern auch in andere Stellen.

Ich kann mich noch erinnern, dass man uns ein Präparat in die Augen gab. Es sollte unsere Pupillen blau färben. Ich hatte die Sondergenehmigung, dass man mir die Augen nicht mit den Tropfen bewässerte. Ich hatte ja schon blaue Augen. Und das war ja auch irgendwie ein Erfolg.

Manche konnten nie wieder sehen. Ich weiß auch, dass nicht alle Kinder aus dem Laboratorium zurückgekehrt sind. Dort hat man ja die Leichenschau betrieben, man hat  dort Kinder umgebracht. Und es gab Untersuchungen, die Skelette, die Organe wurden präpariert.

Ich kann nicht sagen, dass etwas Konkretes mir Kraft gegeben hat. Das war Instinkt. Überlebensinstinkt.

Man darf einfach nicht schweigen. Zu uns kommen ganz viele Jugendliche aus der ganzen Welt. Ich trete hier auf, erzähle meine Geschichte, weil es meine Pflicht ist. Pflicht gegenüber denen, die nicht überlebt haben. In diesen jungen Händen ist die Zukunft unserer Welt. Von jenen, die mir zuhören, hängt es ab, wie diese Welt sein wird. Sie müssen aufpassen, dass das, was hier passiert ist, sich nie wiederholt.

Interview: Julia Riedhammer, Christine Thalmann

Filmbericht von Lidia Maksymowicz

©: auschwitzundich.ard.de

Eintritt frei!

Eine Veranstaltung der Stadt Lichtenstein/Sachsen in Zusammenarbeit mit dem Verein Bildungs-WG e.V.