Nachrichten

Gottesdienst am Sonntag Reminiszere, 28.2.2021


26. Februar 2021

Bitte nutzen Sie unser Angebot zur Andacht zu Hause. Sie dürfen diese Andachten zu Hause feiern, auch kopieren, verschenken!

„DU STELLST MEINE Füße AUF WEITEN RAUM –

DIE KRAFT DES WANDELS“,

so heisst das Hungertuch von Lilian Moreno Sánchez.

Die chilenische Künstlerin lebt in Augsburg.

Ein merkwürdiges Gebilde, auf das wir blicken. Etwas knochiges- scheinst, mit dem ich mich nicht unbedingt befassen wollte. Doch je mehr ich über das Bild erfuhr- umso interessanter wurde es für mich.

Das Röntgenbild eines Fußes ist die Grundlage des Bildes. Es ist der Fuß eines Menschen, der bei Demonstrationen 2019 in Chile von der Militärpolizei verletzt wurde.

Das Hungertuch ist auf gebrauchten Bettlaken gestaltet.

Die Stoffe stammen aus einem Krankenhaus und einem bayrischen Frauenkloster. Damit holt die Künstlerin das reale Leben sehr direkt mit in ihre Kunst.

Heilung hat eine körperliche Dimension- aber immer auch eine seelische.

Die schwarzen Linien aus Zeichen-Kohle zeigen die Umrisse des verletzten Fußes.

Ein Mensch, der im Bemühen um Gerechtigkeit verletzt wurde- so werden wie an die Leidensgeschichte Jesu erinnert.

Ein goldener Faden verbindet zertrenntes Stoffgewebe- der Faden als Zeichen für Heilung und Zukunft.

Weiter sehen wir zwölf Blumen aus Blattgold.

Sie stehen für Kraft und Schönheit des neu erblühten Lebens.

Leiden und Schmerzen können überwunden werden.

Gold ist die Farbe der Ewigkeit und Hinweis auf Gott, der neues Leben schenkt.

An der rechten unteren Ecke hat die Künstlerin Straßenstaub in den Stoff gerieben. Er stammt von dem Ort, wo der Mensch verletzt wurde dessen Fuß das Tuch zeigt.

Der Staub ist Erinnerung an die Gewalt aber auch an den Mut dieser Menschen, die für ihre Rechte eingetreten sind.

Mich berührt das Bild mehr als andere, weil der medizinische Blick auf den Menschen- hier ein Röntgenbild- das ist, womit ich hier im Krankenhaus ständig konfrontiert bin.

Mich berührt es, weil in diesem Bild deutlich wird: körperliche Gebrechen können heilen, eigebettet in körperliche und spirituelle Pflege.

„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“, heißt es im Psalm 31

Die biblische Hoffnung „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ ist ohne die Erfahrung von Leid nicht zu verstehen.

Wir hören einen Auszug aus diesem Psalm

HERR, auf dich traue ich,

lass mich nimmermehr zuschanden werden,

errette mich durch deine Gerechtigkeit!

Du wollest mich aus dem Netze ziehen,

das sie mir heimlich stellten;

denn du bist meine Stärke.

In deine Hände befehle ich meinen Geist;

du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott

Du übergibst mich nicht in die Hände des Feindes;

du stellst meine Füße auf weiten Raum.  

HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst!

Mein Auge ist trübe geworden vor Gram,

matt meine Seele und mein Leib.

Meine Kraft ist verfallen durch meine Missetat,

und meine Gebeine sind verschmachtet

Ich aber, HERR, hoffe auf dich und spreche:

Du bist mein Gott! Meine Zeit steht in deinen Händen.

Lass leuchten dein Antlitz über deinem Knecht;

hilf mir durch deine Güte!

Im Psalm 31 verarbeitet ein Beter oder eine Beterin jahrelange Erfahrungen von Krankheit, Einsamkeit und Verzweiflung. Dieser Mensch hat gerade alles andere als weiten Raum unter seinen Füssen. Alles ist ihm zur Last geworden und er betet in Erwartung des nahen Todes:

 „In deine Hände befehle ich meinen Geist“

Erst aus dieser Bedrängnis heraus bekommt der Vers seinen vollen Klang:

Du stellst meine Füße auf weiten Raum. In alle Gebrochenheit und Not bleibt der Glaube, dass da ein Gott ist, der mir einen Raum eröffnet, den ich voll Vertrauen schreiten kann.

Das Spannungsfeld in dem der Psalmbeter stand ist groß. Mir scheint: es hat an Aktualität nicht verloren.

Besonders die Corona-Pandemie weist uns Menschen gerade weltweit in Grenzen. Unsere Verwundbarkeit kommt uns jeden Tag ins Bewusstsein.

Von einem Tag auf den anderen wurde unsere Selbstverständlichkeit außer Kraft gesetzt.

Seit März 2020 sind unsere Freiräume enger geworden. Quarantäne und Lock down sind unsere aktuellen Bilder der Enge.

Die wohltuendsten Gesten- sich einander berühren, gemeinsam essen, – haben sich in Quellen der Gefahr verwandelt. Gefühle von Solidarität und Unsicherheit, Hoffnung und  Angst liegen gleichermaßen in der Luft.

Diese Krise betrifft uns alle weltweit- wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.

Wir erleben alle denselben Sturm, aber wir sitzen eben nicht alle im selben Boot.

Es reicht, sich ein Gräberfeld mit Corona-Toten in Brasilien zu sehen, um das zu verstehen.

Die Ungerechtigkeit in den ökonomischen Grundlagen

und in den Wohnverhältnissen bilden sich verschärft ab.

Beim ersten Hinsehen zeigt mir das Hungertuch vor allem die Zerbrechlichkeit des Lebens, reduziert bis auf die Knochen.

Ein gebrochener Fuß- es schmerzt und vielleicht humpelt man noch etwas weiter, bis es nicht mehr weiter geht.

Pause, Stillstand. Hilfsbedürftigkeit.

Und zugleich der Wunsch, sich wieder in Bewegung  setzten zu können.

Schritt für Schritt wieder ins Leben zurückkehren.

Ich muss genau hinsehen um auch das andere wahrzunehmen- die goldenen Fäden und die Blumen. Das Kaputte ist nicht alles.

Demgegenüber formt sich ein Bild der Hoffnung,

Du stellst meine Füße auf weiten Raum

Dieser Vers befreit in dem Moment aus der Enge, indem man seine Worte in den Mund nimmt. Probieren Sie, sprechen Sie diesen Vers einmal laut und ruhig aus.

Fester Stand- weiter Raum- ein Gedanke, der aufatmen lässt.

Dieser Psalm spricht von Vertrauen und Freiheit, obwohl Füße schwach werden, Wege uneben und Räume eng werden.

Wir sind in jeder Fastenzeit eingeladen,

innezuhalten und Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, Umkehr anzustoßen.

In dieser Corona-Fastenzeit sind wir oft gezwungen, innezuhalten. Wir sind vielfach ausgebremst.

Doch ob wir die Zwangspause nutzen, das Selbstverständliche mit anderen Augen zu sehen, – das ist die Frage.

Viele drängen jetzt auf eine sog. Öffnungsperspektive, und meinen damit: wann wird es wieder so wie vor Corona?

Kein ehrlicher Politiker kann da Versprechungen machen.

Der verständliche Wunsch nach einer Perspektive ist zu groß – und gleichzeitig zu klein.

Denn – ich glaube – es wäre zu wenig, danach weiter zu machen, wie gewohnt.

Es wäre die Weigerung, Erfahrungen wichtig zu nehmen, die uns ungewollt in den Schoß gefallen sind.

Erfahrungen, die uns Geld und Zeit und Anstrengung gekostet haben, – die aber – recht betrachtet- wirklich kostbar sind.

Der Wert von menschlicher Nähe, Familie, Freunden – immer wieder wurde das beschworen. –

Aber was wird das wert sein danach, wenn wieder jeder seins machen kann?

Oder was ist mit dem Wert von Bildung?

Oder dem Wert von Arbeit?

Nicht wahr: im ersten Lockdown wurde noch vom Balkon applaudiert für Krankenschwestern und Altenpfleger.

Im zweiten Lockdown haben wir uns daran gewöhnt, dass ihre Situation sich nicht geändert hat.

Als ginge es uns nichts mehr an.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum –

Wenn Gott diese Hoffnung in uns zum Leben erweckt,

dann haben wir mehr zu erwarten als ein immer weiter so,

– und immer mehr vom Gleichen.

Eine vergoldete Enge.

Du stellst meine Füße auf weiten Raum –

wenn diese Hoffnung in uns lebt,

dann ist mehr drin – für uns und für die anderen auch.

Geb’s Gott. Amen.

Predigt 28.2.2021 Pfarrerin Renate Bormann, Krankenhausseelsorgerin

Den online-Gottesdienst finden sie am 28.2.2021 auf der Internetseite der Stadtkirchgemeinde Zwickau: http://www.stadtkirchgemeinde.de