Nachrichten

Andacht für Karfreitag, 10. April 2020


4. April 2020

Bitte nutzen Sie unser Angebot zur Andacht zu Hause. Sie dürfen diese Andachten zu Hause feiern, auch kopieren, verschenken, weiterverbreiten!

Lied: O Haupt voll Blut und Wunden

1) O Haupt voll Blut und Wunden,
voll Schmerz und voller Hohn,
o Haupt, zum Spott gebunden
mit einer Dornenkron, o Haupt,
sonst schön gezieret
mit höchster Ehr und Zier,
jetzt aber hoch schimpfieret:
gegrüßet seist du mir!

Psalmgebet:

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.“ aus Psalm 22

Besinnung:

Es war für mich an einem Karfreitag vor Jahren ein Aha-Erlebnis. Es war mir nie bewusst geworden, aber mit einem Male hab ich verstanden: Jesus hängt am Kreuz und sein Ruf, dieses „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ – es war nicht einfach nur ein verzweifelter Ausruf, sondern Jesus singt, am Kreuz hängend, ein „Gesangbuchlied“ aus seiner jüdischen Tradition, einen Psalmvers. Es hat mich schon als Student seinerzeit gereizt, einmal die alten Noten zu verstehen, die heut keiner mehr lesen kann. Wie haben sie es gesungen und sich dabei verbeugt, wie wir es heut an der Klagemauer in Jerusalem beobachten können. Damit ist dieser Jesus aufgewachsen, das war ihm, der im Tempel zu Haus war, ein Stück Heimat. Und er lässt diese Heimat auch nicht, wo er am Kreuz hängt und leidet. Er stimmt auch dort ein in die Tradition des Glaubens an den allmächtigen Gott. Mir kommen Bilder vergangener Jahre in den Sinn: Ich habe Angst um das Überleben meiner Frau – und wieder und wieder bete ich das alte Gesangbuchlied „Befiehl du deine Wege“. Ich spreche es in Gedanken vor mich hin, ich summe die Melodie… – und finde zu einer merkwürdigen und für mich fast befremdlichen Ruhe, in der ich mich frage: wie kommt das? Woher nimmst du die Kraft? Oder: Ich steh bei einer Beerdigung am Altar, seh die tief trauernde Familie und weiß von der ganzen Tragik, die sich abgespielt hat. Über Jahre sind wir den Weg gemeinsam gegangen, haben gehofft und gebangt, waren zuversichtlich und verzweifelt. Ich lege mein Konzept weg und rede, was ich empfinde: „Ich möchte nicht gern hier vorn stehen. Ich möchte mich neben sie setzen und mit ihnen klagen. Auch ich verstehe meinen Gott nicht mehr.“ …und wir haben geklagt – und im Klagen – fast wage ich es nicht zu sagen – viel viel Trost erfahren. Hinterher sagt mir die Witwe: Es hat mir geholfen und ich bin ihnen dankbar, dass sie nicht auf alles eine Antwort gewusst haben. Es sind Bilder – und ich kann diese Aufzählung fortsetzen: Klagen ist anders als Jammern. In Sachsen sagt man gern lamentieren… Das ist oft introvertiert und hilft nicht. Wer klagt, hat einen, dem er klagen kann. Die Botschaft dieses grausigen Karfreitag und damit dieser Karwoche ist eben die: Wir haben einen, dem wir klagen können. Das wird die Pandemie nicht gleich nehmen, aber es setzt sie ins Verhältnis. …ins Verhältnis zu dem, der drüber steht. Mit einer dritten Klasse besichtigen wir unsere Kirchberger Kirche: das „schöne“ alte große Kruzifix. Jesus am Kreuz. Ein Kunstwerk aus gotischer Zeit, spätes 15. Jahrhundert, begutachtet von Sachverständigen, die im corpus eine Reliquie vermuten und mit der Wärmebildkamera Untersuchungen angestellt haben, die allerdings kein Ergebnis hatten. All das kommt mir in den Sinn, als ein kleiner Junge, unter dem Kreuz stehend, erklärt: „So was machen doch Menschen nicht miteinander.“ Er sagt es altklug – und seitdem seh ich das Kruzifix mit anderen Augen. Dass so etwas doch nie und nimmer möglich ist! Und denke an die, die die Judenmorde bis auf den heutigen Tag leugnen: Ja, sicher, das machen doch Menschen nicht miteinander! …oder doch: dass dieses Leiden, dieser Tod Jesu Bild größtmöglicher – letztlich unvorstellbarer Verlassenheit ist, in der du nicht anders kannst als zu singen: „Warum?! Warum hast du mich verlassen, mein Gott!“ …und damit einstimmst in den Chor der Verlassenen. Oder soll ich anders sagen: In dem Ruf dem nahe kommst, der ans Kreuz gegangen ist, um unserer Verlassenheit doch eine Hoffnung zu geben. Und wieder kommt mir ein Bild in den Sinn: eine Ausstellung über Kaiser Karl V. auf der Prager Burg: Viel Edelstein und Gold und Schnitzerei – und plötzlich ein Kreuz, lebensgroß mit dem Leichnam Jesu: Es schauert mich noch heute, wenn ich daran denke: so dargestellt, wie es natürlicher nicht sein kann: ein grauenhaftes Bild! Weit entfernt von dem kleinen Goldkreuzchen am Ohr oder dem kleinen Bronzekreuz, das ästhetisch schön gestaltet an meiner Wohnungstür hängt. Es ist doch schön, sagt jemand, und zeigt ein bemaltes Kreuz mit einer schönen Landschaft im 1900-Stil… Das Kreuz war nicht schön, nie. Ort größtmöglicher Verlassenheit, grausam und teuflisch. Und steh ich vor dem Altarkruzifix in „meiner“ Kirchberger Kirche, so lese ich wieder und wieder am Sockel die Jahreszahl 1750 – und erschaudere ebenso: 1757 ist ganz Kirchberg, alle Häuser, Schule, Rathaus, Pfarrhaus und Kirche in einem jämmerlichen Stadtbrand untergegangen. Und einer muss gewesen sein, der in die brennende Kirche gerannt ist und dieses Kreuz geborgen hat! Wie wichtig war es ihm – oder ihr?! …aufzuschauen in allem Verlust, in aller Traurigkeit, in allem Aufgeben-müssen, in aller Verlassenheit und mit diesem Jesus zu beten: „Mein Gott, hast du mich verlassen? Warum, mein Gott?“ Unsere Häuser brennen – Gott sei Dank – nicht, aber die Frage brennt schon: Karfreitag war und ist das Bild größtmöglicher Verlassenheit. Aber schon am Kreuz klagend ist da eine Kraft, die uns erfüllt: Sonst hätte Jesus am Kreuz diese Kraft nicht erfahren. …sonst könnte auch ich nicht so glauben. Ja, das Kreuz hat eine Verheißung, trotz und in aller Grausamkeit. Und ist es auch klein und geschmackvoll gestaltet, es verheißt mir: Ich habe nicht auf alles eine Antwort. Aber in allem Fragen erfahre ich den, der an meiner Seite ist und mit mir klagt…; den, der dann am Ende das Kreuz hinter sich gelassen hat. Er hat verloren, am Kreuz verloren. Und Gott hat ihn über alle Sieger erhoben – und wir staunen, wenn wir lesen: Dietrich Bonhoeffer wird zum Galgen geführt und erklärt, dass das das Ende sei, für ihn der Anfang – sollten wir nicht auch in diesen Tagen bekennen: Das Vorletzte ist der Tod, das Letzte ist das Leben! Und ich, ich greife zu meiner Bibel, schlage in der Mitte des Buches den Psalm 22 auf und staune, was aus der Klage geworden ist: Lesen Sie es in einer ruhigen Minute einmal still für sich – und Sie werden die Kraft empfinden und erfahren. Gott schenke es Ihnen. Amen.

 

Gebet frei nach Psalm 22

Mein Gott, warum, Gott, hast du mich verlassen? So sehr bete ich zu dir, und möchte dich hören. Ich nehme dich ernst und rede zu dir. Darum antworte mir doch! Die Frommen kommen und beten. Hörst du sie? Warum hörst du mich nicht? Warum schweigst, du, wo ich so sehr rufe? Ich finde keine Ruhe, weder Tag noch Nacht. Ich suche dich, Gott, lass dich doch finden. Du bist heilig, Gott. Man sagt, du stehst über allem! Sei doch nicht fern von uns! Komm zu uns, mitten in unser Suchen und Fragen hinein! Früher riefen sie zu dir, Gott, du hast sie doch erhört So sei du meine Stärke! Eile, mir zu helfen! Du verachtest mich nicht. Ich werde dich noch preisen in der Gemeinde!

Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit. Amen.

 

Lied: O Haupt voll Blut und Wunden

4) Erkenne mich, mein Hüter,
mein Hirte, nimm mich an.
Von dir, Quell aller Güter,
ist mir viel Guts getan;
dein Mund hat mich gelabet
mit Milch und süßer Kost,
dein Geist hat mich begabet
mit mancher Himmelslust.

5) Ich will hier bei dir stehen,
verachte mich doch nicht;
von dir will ich nicht gehen,
wenn dir dein Herze bricht;
wenn dein Haupt wird erblassen
im letzten Todesstoß,
alsdann will ich dich fassen
in meinem Arm und Schoß.

Geh hin im Frieden des Herrn!

Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden! Amen.

 

Pfr. Matthias Hecker, Kirchberg